»Bridge of Hope« – Studierende aus Lviv und München gemeinsam auf der Bühne

24. November ’22

Am Montag, den 28. November 2022 stehen Studierende aus dem ukrainischen Lviv und von unserer Hochschule gemeinsam auf der Bühne. Wir haben einige Beteiligte befragt, was dieses Konzert für sie bedeutet.

(Українська версія/Ukrainische Version)

Weitere Informationen zum Konzert finden Sie hier.

 

Khrystyna Rendziak, Studentin aus Lviv:

Was bedeutet dieses Projekt für Sie?

Es ist eine Gelegenheit, den Menschen von der Unbesiegbarkeit des ukrainischen Volkes zu erzählen. Trotz der schwierigen Bedingungen im Land arbeiten wir unermüdlich und schenken der Welt die Schönheit der musikalischen Kunst.

Gibt es ein Stück, mit dem Sie etwas Besonderes verbinden?

In einer so traurigen Zeit ist es für die Ukraine sehr schwer, sich von den Ereignissen abzulenken und etwas Romantisches oder Klassisches zu finden. Deshalb ist im Moment das Werk des deutschen Komponisten Markus Hering „Ukrainische Variationen“ (die Bearbeitung des ukrainischen Liedes „Oi u luzi“) etwas Besonderes für mich. Es verbindet den Wohlklang des ukrainischen Liedes mit der Tragik der Gegenwart.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst in Kriegszeiten?

Ich glaube, viele Menschen wissen, wie singend das ukrainische Volk ist. Natürlich ist die Kunst und Musik sehr wichtig für uns. Es ist ein Weg, den nationalen Geist zu wecken, eine Manifestation der inneren Gefühle.

Gibt es etwas, das Sie berichten möchten?

Stellen Sie sich vor: ein ruhiger, sonniger Tag, vor dem Fenster hören Sie Kinderlachen und Autolärm, von den Wänden der Musikakademie ertönt Musik. Plötzlich wird alles unterbrochen hört alles auf; und das unangenehme, aber den Ukrainern leider vertraute Geräusch einer Sirene lässt Sie alles stehen und liegen lassen und in Deckung gehen. Der Mangel an Licht und Wärme erzeugt ein Gefühl der Angst und des Unbehagens. Sie öffnen Ihr Smartphone und lesen über die Explosionen. Versuche, Ihre Familie anzurufen, bleiben erfolglos. Was sind Ihre Gefühle? Wie werden Sie sich fühlen? Für manche Leute klingt das alles wie etwas Unwirkliches, aber das ist jetzt unser Leben!

 

Taras Markiv, Student aus Lviv:

Was bedeutet dieses Projekt für Sie?

Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, die ukrainische Kultur zu vertreten und die Werke unserer Komponisten dem deutschen Publikum vorzustellen.

Gibt es ein Stück, mit dem Sie etwas Besonderes verbinden?

Es ist schwierig, ein Stück auszuwählen, denn das Programm des gesamten Konzerts ist äußerst interessant. Eine Besonderheit wird die Uraufführung des Stücks „Ukrainische Variationen“ von Markus Höhring sein.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst in Kriegszeiten?

Die Kunst verkörpert die Erfahrungen und Bestrebungen einer Generation, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die zeitgenössische ukrainische Kunst auf den Aufruf zum Kampf, zur Konsolidierung und zum Glauben an den Sieg konzentriert. Chopin: „Unter Blumen eingesenkte Kanonen“.

Gibt es etwas, das Sie berichten möchten?

Unser Orchester ist ein ‚musikalisches Team‘ des ganzen Landes – Lemberg, Czernowitz, Ternopil, Iwano-Frankiwsk, Krywyj Rih, Dnipro, Poltawa, Donezk… die Geographie unseres Orchesters ist sehr breit. Zu Beginn des Krieges wurde unser Studentenwohnheim zu einem Zufluchtsort für viele Studenten aus der Ostukraine. Wir schätzen das, dass wir die Möglichkeit haben, in einer Musikhochschule im europäischen Stil mit allen Annehmlichkeiten zu studieren, und das in einer so schwierigen Zeit, in der die Häuser in der Ukraine aufgrund der russischen Terroranschläge planmäßig und notfallmäßig geschlossen sind. Oft wurden die Proben durch Luftangriffe unterbrochen und wir mussten in den Luftschutzkeller gehen, aber unser Geist ist stark – wir singen Lieder und werden nicht aufgeben.

Foto des Lviv Chamber Orchestra Academia in prunkvoller Kirche
Foto: Academia
Das Lviv Chamber Orchestra »Academia«

Artem Lonhinov, Dirigent und Absolvent der HMTM, Leiter der Proben:

Was bedeutet dieses Projekt für Sie?

Als ich angefragt wurde, beim Projekt „Bridge of Hope“ mitzuwirken, habe ich ohne darüber nachzudenken sofort zugesagt. Die Idee des Projektes und dessen Ziel, in dieser schwierigen Zeit einen kulturellen und menschlichen Austausch zwischen den Studierenden aus München und Lviv zu ermöglichen, haben für mich eine große Bedeutung. Noch am Anfang des Krieges fiel es mir äußerst schwer, ein „normales“, Leben weiterzuführen. Ich konnte mich gar nicht auf irgendwas konzentrieren, essen und schlafen. Später war mit bewusst, dass nur die Musik für mich die wichtigste Therapiequelle und gleichzeitig das richtige Mittel ist, mich auszudrücken und meine Emotionen, Gefühle und Sorgen mit anderen Menschen zu teilen. Ich glaube, so geht es vielen Künstlern gerade, und zwar nicht nur ukrainischen.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst in Kriegszeiten?

Ich finde, die Kunst spielt gerade in dieser Zeit eine noch wichtigere Rolle als sonst. Die ukrainische Musik, die bis vor dem Krieg leider nicht so oft in Deutschland und Europa aufgeführt wurde, wird nun mehr und mehr zu einer richtigen Entdeckung für das Publikum in Westen und beweist es, dass sie so interessant, umfangreich und vielfältig ist und es völlig verdient, auf allen Bühnen der Welt gespielt zu werden.

Umso spannender war es für mich, die Musik nicht nur mit ukrainischen Studierenden der Hochschule, die mit einigen ukrainischen Werken schon vertraut sind, sondern auch mit Studierenden von ganz verschiedenen Nationen, die beim Projekt dabei sind, zu proben. Ganz besonders war es für mich, zu erleben, wie die Augen des Komponisten Markus Höring, der extra für das Konzert das Stück „Ukrainische Variationen“ komponiert hat, leuchten und wie er begeistert und gleichzeitig aufgeregt vor der Uraufführung ist.

Alona Khlevna, Studentin der HMTM und ehemalige Gaststudentin:

Was bedeutet dieses Projekt für Sie?

Ich freue mich sehr, an diesem Projekt teilzunehmen, und ich bin sehr daran interessiert, mit unseren Musiker*innen zusammenzuarbeiten und gemeinsam auf einer Bühne aufzutreten. Ich bin auch sehr begeistert von dem Programm, freue mich sehr, es aufzuführen! Für mich ist dieses Projekt eine Möglichkeit, den Kontakt zur Ukraine nicht zu verlieren, eine Erinnerung an meine Identität.

Gibt es ein Stück, mit dem Sie etwas Besonderes verbinden?

Das Stück „Ukrainische Variationen“ von Markus Höhring hat mich sehr berührt. Für mich zeigt dieses Stück, wie ein Lied (es ist „Chervona Kalyna“) von jedem Ukrainer auf seine und jeder Ukrainerin auf ihre eigene Weise gehört wird und wie verschiedene Menschen ein und dasselbe mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen können.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst in Kriegszeiten?

Die Kunst spielt heute eine sehr wichtige Rolle. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, ich kann nur über mich selbst sprechen. Für mich ist die ukrainische Kunst heute eine Möglichkeit der Selbstidentifikation, eine Erinnerung daran, wofür wir kämpfen und welche talentierten Künstler wir hatten und haben. Wenn ich ukrainische Musik und ukrainische Interpreten höre, gewinne ich die Zuversicht zurück, dass wir überleben und gewinnen werden, und dann werden wir alles wieder aufbauen und so schön leben wie nie zuvor.

Gibt es etwas, das Sie berichten möchten?

Lasst uns durchhalten, trotz allem! Slava Ukraine!

 

Veronika Sazonova, Studentin der HMTM:

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst in Kriegszeiten?

Die Kunst als einer der größten und nützlichsten Werte der Menschheit hilft uns, vor allem in Kriegszeiten, Menschen mit offenem Herzen zu bleiben. Starke Musik kann denen, die sie suchen, Mut und Hoffnung geben.

 

Markus Höring über sein Werk „Ukrainische Variationen“, das im Konzert „Bridge of Hope“ uraufgeführt wird:

Die Idee zu meiner Komposition „Ukrainische Variationen“ kam durch meine Kollegin am Hause, Frau Prof. Adelina Yefimenko zustande, die dankenswerterweise den Kontakt nach Lviv hergestellt hat. Es wurde in diesem Zusammenhang an mich der ausdrückliche Wunsch herangetragen, das bekannte ukrainische Lied „Oi u luzi“ zu verarbeiten.

Ich war spontan von der originellen Struktur dieses Liedes, die gerades und ungerades Metrum unkonventionell verbindet, begeistert. Da der Themenkopf aus einem Material von fünf verschiedenen Tönen (a,c,h, gis,e) besteht, habe ich mein Stück als Thema mit fünf in Charakter und Ausdruck stark kontrastierenden Variationen, die in einen Kanon münden, gestaltet, wobei das musikalische Geschehen von Introduktion und Epilog, in denen das Thema in seiner Originalgestalt deutlich erkennbar erklingt, eingerahmt wird.

Obschon dies die leitenden Überlegungen beim Komponieren waren, so steht meine Komposition zugleich unter dem tiefen Eindruck des entsetzlichen Kriegsgeschehens und des damit verbundenen menschlichen Leids.  Es war für mich eine große  Ehre, meine „Ukrainischen Variationen“ den Ausführenden des Kammerorchesters Akademia persönlich widmen zu dürfen.

Markus Höring, im November 2022

 

Interviews: Marta Haladzhun, Dominik Pensel

Übersetzung: Marta Haladzhun