Grenzenloser Einsatz für Neue Musik – 20 Jahre ensemble oktopus

25. Oktober ’22

Im Wintersemester 2002/2003 gründete Prof. Konstantia Gourzi, Komponistin und Professorin für Ensembleleitung Neue Musik, an der HMTM das ensemble oktopus für musik der moderne. Das Ziel: den Studierenden einen frühen und unkomplizierten Zugang zu Werken Neuer Musik ermöglichen. Seitdem hat die Arbeit des Ensembles zahlreiche junge Musiker*innen in ihrer künstlerischen Entwicklung beeinflusst und durch den direkten Austausch mit Komponist*innen wichtige Netzwerke begründet.

»Wenn man einen Oktopus im Wasser sieht, dann wirkt er sehr klein. Wenn er Angst hat, zieht er sich zusammen. Doch wenn man ihm seinen Raum gibt, dann kann er wachsen, groß werden und sich in seiner ganzen Schönheit zeigen.«
Prof. Konstantia Gourzi

Foto von Konstantia Gourzi mit ensemble oktopus
Foto: Gregory Giakis
Konstantia Gourzi und das ensemble oktopus beim Konzert am 18. Mai 2022 in der Reaktorhalle

Seit zwei Jahrzehnten widmen sich Studierende aus den Instrumentalstudiengängen der HMTM in wechselnden Besetzungen der zeitgenössischen Musik. Im Rahmen ihres Studiums setzen sie sich hier mit zentralen Werken der Neuen Musik, mit deutschen Erst- und zahlreichen Uraufführungen auseinander. Unter der Leitung von Prof. Konstantia Gourzi, selbst Komponistin und Professorin für Ensembleleitung Neue Musik, ist das ensemble oktopus für musik der moderne dabei auch zu einer festen Instanz in der Münchner Szene für Neue Musik geworden. Der treibende Motor: die Sichtbarmachung zeitgenössischer Musik, das Schaffen von Berührungspunkten – bei den jungen Musiker*innen wie auch beim Publikum. »Das Problem der Neuen Musik sind nicht die „schrägen Klänge“ sondern die Konditionierung durch die „schönen alten Klänge“, so Gourzi. »Die Schönheit der Musik ist in jeder Zeit und jeder musikalischen Richtung zu finden oder nicht zu finden, auch in der Neuen Musik. Man braucht sicherlich am Anfang mehr Geduld und Neugier, weil die Hörgewohnheiten der „klassischen“ Musik uns so stark geprägt haben.« Das Ergebnis ist ein überwältigend umfangreiches Repertoire, bei dem in 20 Jahren kaum eine Komposition je zweimal gespielt wurde. Dafür ist die Auswahl viel zu groß: Bei fast jedem Konzert werden dem Publikum Uraufführungen präsentiert.

Für die Unterstützung dieser Prozesse ist es Gourzi stets ein großes Anliegen gewesen, die Urheber*innen der gespielten Werke zu Probenphasen mit den Studierenden und zu den Konzerten einzuladen. »Konstantia Gourzi hat zahlreiche internationale Kontakte und verbindet viele Welten miteinander, davon haben wir profitiert. Bei einem meiner ersten Konzerte war gleich Jörg Widmann zu Gast«, erinnert sich Claudio Estay, ehemaliger Student der HMTM und Ensemblemitglied, heute erster Schlagzeuger im Bayerischen Staatsorchester. »Mit ihrem Fleiß und Ehrgeiz, aber auch mit ihrer großen Neugierde hat Konstantia Gourzi damals für uns die Türen zur Neuen Musik aufgestoßen.«

Und die Szene nach München geholt – die Liste der prominenten Gäste ist lang: Mark André, György Ligeti, Salvatore Sciarrino, Tansy Davies, Elena Mendoza, Olga Neuwirth, Rebecca Saunders, Ursula Mamlok, Unsuk Chin, Minas Borboudakis, John Cage, Steve Reich, John Adams, Toshio Hosokawa, Georg Friedrich Haas, Nikos Skalkottas, Yinam Leef, Hans Werner Henze, Enjott Schneider, Wilfried Hiller und viele weitere . Die eingeladenen Komponist*innen wohnen den Proben bei, übernehmen die Erarbeitung der Stück selbst, sprechen und diskutieren mit den jungen Musiker*innen über die Werke, ihre Assoziationen und Interpretationsspielräume. Eine unermesslich wichtige Erfahrung, findet auch der Pianist Amadeus Wiesensee, der seit 2019 immer wieder im ensemble oktopus spielt und aktuell den weiterführenden Studiengang Excellence in Performance studiert: »Bei diesen menschlich höchst individuellen, persönlichen Auseinandersetzungen passiert etwas, was letztendlich auch das Publikum spürt. Auch wir Musiker*innen kommen so in eine stärkere Berührung mit uns selbst«.

Foto von Amadeus Wiesensee am Flügel
Foto: Gregory Giakis
Der Pianist Amadeus Wiesensee beim Konzert des ensemble oktopus am 18. Mai 2022 in der Reaktorhalle

Im Kern geht es Konstantia Gourzi dabei um das Interesse am Gegenüber, am Kennenlernen des Komponisten, der Interpretin und des Publikums: »Neue Musik ist ein Spiegel von heute: man erlebt die Charaktere, die Politik, das soziale Verhalten, die gesamte Haltung. Das alles auch durch Musik beobachten zu dürfen, ist ein Privileg, ein Geschenk, eine Herausforderung für das Bewusstsein.« Diesen Ansatz vermittelt sie auch den jungen Musiker*innen, berichtet Amadeus Wiesensee: »In der Intimität eines kleinen Ensembles können wir uns all diesen Facetten künstlerischen Schaffens widmen und lernen auch, ein zeitgenössisches Werk zu interpretieren und zwar viel mehr als nur die geschriebenen Noten.« Den Wert dieses zum Teil herausfordernden Prozesses sieht auch Giorgos Panagiotidis, ebenfalls ein Alumnus der HMTM und ehemaliges Mitglied des ensemble oktopus, heute Mitglied im Ensemble Modern. »Ausprobieren, testen, auch mit neuen Techniken experimentieren, das ist der lange Weg hin zur Schöpfung einer musikalischen Innovation. Entsteht nach einem intensiven Arbeitsprozess etwas wirklich Innovatives, geht ein neues Fenster auf!«

Genau dieses Vorgehen wird auch durch den Oktopus verkörpert: Diesem Meeresbewohner gleich streckt das Ensemble im übertragenden Sinne seine Arme aus: Seit der Ensemble-Gründung im Jahr 2003 hat Gourzi viele Veranstaltungsformate entwickelt, mit denen sie die Vernetzung der Studierenden mit Kommiliton*innen, Berufsmusiker*innen und Alumni*ae fördert. So entwickeln sich wichtige neue interdisziplinäre Perspektiven, beschreibt Gourzi: »Durch die Arbeit im ensemble oktopus wird der Blick geweitet und richtet sich nicht ausschließlich auf die gängigen Musikerberufe. Eine kreative Herangehensweise ist nicht nur für die Neue Musik, sondern auch für den Berufsalltag allgemein erforderlich.« Innerhalb der Hochschulfamilie, aber auch überregional und international, haben sich wertvolle Zusammenarbeiten entwickelt: Mit Studierenden aus den Kompositions- und Dirigierklassen arbeitet das ensemble oktopus ebenso zusammen wie mit dem Jazz Institut der HMTM und zahlreichen Lehrenden der Hochschule, die als Solist*innen auftreten. Kooperationen entstanden mit der Pinakothek der Moderne München, der Glyptothek der Moderne, der Theaterakademie August Everding und der Bayerischen Staatsoper und der Münchner Biennale. Zunehmend wird das Ensemble auch international wahrgenommen, etwa auf der Biennale für Neue Musik in Venedig 2021 oder bei einem Festakt der Paul Sacher Stiftung in Basel 2022. Neben den zahlreichen Konzerten, meist sind es zwei pro Semester, ist das ensemble oktopus auch medial präsent. Regelmäßig sendet der Bayerische Rundfunk Konzertmitschnitte des Ensembles. Zuletzt entstand im Herbst 2020 eine CD-Aufnahme in Kooperation mit Enjott Schneider (»Nur wer die Sehnsucht kennt … Beethoven-Hommage«), die auf der Longlist für den Preis der deutschen Schallplattenkritik gelistet wurde.

Das selbstgesteckte Ziel, jungen Musiker*innen im Rahmen ihrer Ausbildung einen unmittelbaren Zugang zu Neuer Musik zu verschaffen, ist längst erreicht. Und doch bleibt viel zu tun: »Der Umgang mit zeitgenössischer Musik«, so Giorgos Panagiotidis, »braucht Zeit und Geduld – von den (Er)Schaffenden und dem Publikum.« Seit 20 Jahren schafft Konstantia Gourzi mit dem ensemble oktopus für musik der moderne erfolgreich diese wichtigen Räume der Entfaltung.

 

 

Konstantia Gourzi

Prof. Konstantia Gourzi

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